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Tarifanwendungsfälle – und wozu sie gut sind
Tarifanwendungsfall, abgekürzt TAF: Dieses bürokratische Wortmonster fällt mit schöner Regelmäßigkeit, wenn es um Smart Metering und/oder die ab 2025 bestehende Pflicht der Stromanbieter zu dynamischen Tarifen geht. Doch was sind Tarifanwendungsfälle genau? Was haben sie mit dynamischen Stromtarifen zu tun? Und warum ermöglicht ihre Umsetzung schnelleren, besseren und einfacheren Service für Letztverbraucher? Um diese Fragen dreht sich unser Artikel.
Was sind eigentlich Tarifanwendungsfälle?
Befragt man einen Experten oder wahlweise eine künstliche Intelligenz wie Gemini, erhält man auf diese Frage etwa folgende Antwort:
Tarifanwendungsfälle, kurz TAF, sind einstellbare Funktionen in intelligenten Messsystemen, also sogenannten Smart Metern. Sie legen fest, wie Stromverbrauch gemessen und abgerechnet wird.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) definiert die TAF (aktuell in der „Technischen Richtlinie BSI TR-03109-1: Anforderungen an die Interoperabilität der Kommunikationseinheit eines intelligenten Messsystems“) und legt damit die Mindestanforderungen an Smart Meter Gateways fest. Jeder TAF beschreibt genau, welche Daten wann und an wen übertragen werden dürfen.
Wer ob dieser bürokratischen Definition ins Badezimmer eilt, ein Handtuch holt und dann von der Terrasse aus zum Himmel blickt, um nach großen gelben Raumschiffen Ausschau zu halten, kann jedoch aufatmen: Die Vogonen aus Per Anhalter durch die Galaxis haben unseren Planeten noch nicht übernommen, und uns droht auch kein Schicksal als Hyperspace-Umgehungsstraße. Im Gegenteil, TAFs sind ausgesprochen nützlich: Sie versprechen nicht nur dynamische Stromtarife, sondern auch mehr und einfacheren Service für Letztverbraucher. Im Grunde handelt es bei ihnen um ein Pflichtenheft für Smart Meter Gateways.
Was ist ein Smart Meter Gateway?
Wer sich etwas genauer mit dem Erfassen von Stromverbrauchsdaten beschäftigt und die aktuellen Debatten und Entwicklungen verfolgt hat, hat bereits eine Vorstellung davon, was ein Smart Meter ist: ein intelligenter Stromzähler, der detailliert (zum Beispiel im 15-Minuten-Takt des deutschen Stromnetzes, aber gerne auch hochfrequenter) den Verbrauch (und bei PV-Anlagenbesitzern auch die Erzeugung) erfasst und auf Basis dieser Daten allerlei wundersame Dinge ermöglicht.
Doch mit der reinen Erfassung ist es nicht getan: Diese Daten müssen ja auch noch weitergegeben und verarbeitet werden. Ersteres ist, grob gesagt, die Aufgabe des Smart Meter Gateways: Es ermöglicht den Datenaustausch zwischen Messeinrichtung, Stromanbieter, Letztverbraucher und weiteren Playern. Dabei ist diese Kommunikation nicht nur unidirektional, sondern sieht zahlreiche Feedbackkanäle vor. Zudem sind die anfallenden Daten datenschutzrechtlich besonders brisant. Deshalb hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entsprechende Richtlinien festgelegt (s. o.).
Wie genau das aussehen kann/soll und was das für die einzelnen Player bedeutet? Genau das legen die Tarifanwendungsfälle fest:
TAF 1: Datensparsame Tarife
Neben den dynamischen Stromtarifen schreibt der Gesetzgeber auch einen datensparsamen Tarif für Privathaushalte vor, analog zu den bereits bestehenden Stromtarifen mit regelmäßigen Abschlagszahlungen und einmal jährlicher Ablesung und Abrechnung. Allerdings sieht dieser TAF eine Mindestauflösung von einem Zählerstand pro Monat vor und ermöglicht auch die Summe verschiedener Zähler – einschließlich der Einspeisung, etwa durch eine PV-Anlage.
Doch allein dieser Ansatz ermöglicht schon, in begrenztem Umfang, einen dynamischen Tarif, analog zum Telefon, zum Beispiel, indem eine monatliche Abrechnung des realen Verbrauchs die Abschlagszahlung ersetzt – dabei könnten sogar die aktuellen Erzeugungskosten berücksichtigt werden. Zudem entfielen lästige Nachzahlungen und Rückerstattungen. Stromanbieter werden allerdings zögern, solche Tarife anzubieten, denn der bisherige, im Voraus entrichtete Abschlag ist ja so etwas wie ein zinsloser Kredit, der den Betrieb des Unternehmens finanziert.
TAF 2: Zeitvariable Tarife
Der eine oder andere mag sich noch an Tag- und Nachttarife erinnern, die über zwei unterschiedliche Zähler erfasst wurden. Doch zeitvariable Tarife mittels Smart Metering ermöglicht eine ungleich granularere Auflösung – nicht nur nach Tageszeit, sondern beispielsweise auch mit Sonderzonen fürs Wochenende oder eine Rasterung nach Jahreszeiten. Diese Tarife sind allerdings nur teildynamisch: Die Zeitfenster und die dazugehörigen Preise werden einmal festgelegt und an den Kunden kommuniziert. Danach ändern sie sich erst mal nicht – und wenn, nur in einzelnen Schritten, die jeweils eine Vertragsänderung bedeuten (mit Sonderkündigungsrecht sowie allem, was noch damit zusammenhängt) und daher nicht allzu häufig vorkommen dürften.
TAF 3: Lastvariable Tarife
Stromanbieter und Netzbetreiber haben im Zusammenspiel die Aufgabe, die Netzlast auszugleichen und stabil im Rahmen bestimmter Parameter zu halten. Da liegt es nahe, auch den Stromtarif zu diesem Zweck zu nutzen – als ersten vollständig dynamischen Stromtarif in dieser Auflistung. Dazu werden Laststufen (entweder via Ist- oder Durchschnittswert) nebst den dazugehörigen Strompreisen bestimmt. Über einen Feedback-Kanal erhält der Endverbraucher Echtzeitinformationen dazu, welche Laststufe gerade gilt. Dabei lassen sich theoretisch auch Prognosen anhand historischer Daten treffen. Anhand dieser Informationen kann der Letztverbraucher dann seine Entscheidungen treffen.
TAF 4: Verbrauchsvariable Tarife
Diese Tarife kann man sich als (umgedrehte) Rabattsysteme vorstellen: Der Strompreis hängt vom Verbrauch über einen bestimmten Zeitraum ab. Einen ersten Ansatz für solch einen Tarif haben wir übrigens bereits mit der Strompreisbremse erlebt, die den Strompreis für bis zu 80 % unseres Vorjahresverbrauchs festlegte. Mit Smart Metering lassen sich jetzt natürlich noch kleinere Zeitfenster und granularere Verbrauchsstufen realisieren.
TAF 5: Ereignisvariable Tarife
Hinter diesem simplen Begriff verbirgt sich, was man mit Fug und Recht als Heiligen Gral der dynamischen Stromtarife bezeichnen könnte. Hier wird der Strompreis per Ereignis gesteuert. Diese Ereignisse können entweder aus dem Smart Meter Gateway selbst stammen oder durch einen externen berechtigten Akteur hervorgerufen werden. Bei der Definition dieses TAFs dachte man wahrscheinlich an einen Parameter wie den Börsenstrompreis, doch im Grunde sind hier der Phantasie und damit der Innovation keine Grenzen gesetzt. Wir bei STROMDAO verwenden dieses Konzept übrigens bereits in unserem GrünStromBonus, der die Nutzung regional erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen belohnt.
TAF 6: Ablesung von Messwerten im Bedarfsfall
Manchmal muss der Verbrauch auch in nicht planbaren Situationen erfasst werden, zum Beispiel beim Umzug oder wenn man den Stromanbieter wechseln möchte. Wer solch eine Situation schon mal erlebt hat, weiß: Chaos ist vorprogrammiert oder zumindest im Rahmen der Möglichkeiten: Postkarten mit Ablesewerten fliegen hin und her; Missverständnisse darüber, welcher Stand denn nun genau wo notiert werden muss, erfordern Nacharbeit oder das persönliche Erscheinen eines Kontrolleurs etc. Smart Metering soll nun genau das vermeiden und den Prozess vereinfachen. Dazu hält das Gateway Messwerte für die jeweils letzten sechs Wochen vor, sodass auch Stichtage in der Vergangenheit berücksichtigt werden können.
TAF 7: Zählerstandsgangmessung
Keine Sorge, hierfür muss niemand zum Zähler gehen, im Gegenteil: Hier geht es um die automatische Erfassung und Versendung von Zählerstandsgängen im Takt der Registerperiode (die im deutschen Stromnetz 15 Minuten beträgt). Diese Messung erfasst dabei sowohl den Verbrauch als auch die potenzielle Einspeisung (etwa aus PV-Anlagen).
Man kann sagen: Dieser TAF schafft die Datengrundlage für dynamische Stromtarife und viele Mehrwertdienste. Er ermöglicht aber auch die kontinuierliche Funktionsüberprüfung der Ableseeinheit bzw. verhindert/erschwert Manipulationsversuche.
Da diese Daten sehr individuell und somit personenbezogen sind, unterliegen sie in besonderem Maße dem Datenschutz. Auch deshalb erhalten sie ihren eigenen TAF.
TAF 8: Erfassung von Extremwerten für Leistung
Dieser TAF ermöglicht die Erfassung und Versendung von Maximal- bzw. Minimalleistungswerten, die innerhalb eines Abrechnungszeitraumes anfallen. Manchmal ist es interessant, nicht nur den Durchschnittsverbrauch zu kennen, sondern auch die maximal abgerufene Leistung. So lässt sich etwa abschätzen, ob ein Stromnetz ausreichend dimensioniert angelegt ist.
TAF 9: Abruf der Ist-Einspeisung
Dieser TAF dient dazu, die aktuelle Ist-Einspeisung zu erfassen (und zwar in Zeitfenstern auch unter 60 Sekunden) und einem Energiemanagement zur Verfügung zu stellen. Die so erfassten Daten dürfen zwar nicht zu Abrechnungszwecken verwendet werden, können aber zum Beispiel dazu dienen, den Letztverbrauchern über sogenannte Nudges Hinweise zum Verhalten zu geben, zum Beispiel: „Hey, die Sonne scheint, der Speicher ist voll: Ein guter Zeitpunkt, die Waschmaschine anzuwerfen!“
TAF 10: Abruf von Netzzustandsdaten
Zusammen mit dem TAF 9 wird der Netzzustand auf Letztverbraucherebene besser beobachtbar. Die Beobachtung kann dabei kontinuierlich erfolgen (ebenfalls in Zeitfenstern < 60 Sekunden) oder ereignisbasiert, etwa bei Über- oder Unterschreiten eines bestimmten Schwellenwerts.
TAF 11: Steuerung von unterbrechbaren Verbrauchseinrichtungen und Erzeugungsanlagen
Oh cool, wird so mancher rufen: Automatisierung! Nun, jain. Unterbrechbare Verbrauchseinrichtungen sind Einrichtungen, die zu bestimmten Zeiten laufen (zum Beispiel Nachtspeicherheizungen oder Erdwärmepumpen) – und die entsprechenden Erzeugungsanlagen lassen sich abschalten, wenn ihr Output nicht benötigt wird. Dieser TAF gibt den verschiedenen Playern die Möglichkeit, diese Einrichtungen und Anlagen an- und abzuschalten, wenn dies beispielsweise aus Gründen der Netzstabilität notwendig sein sollte.
TAF 12: Prepaid-Tarif
Ja, dieser Tarif ist genau das, wonach er klingt: Es wird eine bestimmte Energiemenge bereitgestellt (und vom Verbraucher im Voraus bezahlt) – und sobald die verbraucht ist, werden Lieferant und Verbraucher informiert. Dies wird zwar in stationären Systemen selten verwendet werden, aber eine Anwendung liegt beispielsweise bei Elektrozapfsäulen für die E-Mobilität.
TAF 13: Letztverbraucher-Visualisierung
Für diesen TAF werden die Messwerte an der WAN- anstatt der HAN-Schnittstelle für die Visualisierung bereitgestellt. Die HAN-Schnittstelle (Home Area Network) ist eine Ethernet-Schnittstelle für die Vernetzung einzelner Geräte. Die WAN-Schnittstelle (Wide Area Network) ist eine IP-Schnittstelle, die ins reguläre hausinterne Netz eingebunden werden und so theoretisch von jedem IP-fähigen Gerät angesprochen werden kann. Das können dedizierte Energiemanagement-Systeme (beispielsweise auf Basis von Minirechnern) sein, aber auch Software-Lösungen am heimischen PC oder (bei Anbindung ans Internet) sogar via App oder über das Portal des Anbieters. Dabei ist das Wort „Visualisierung“ ein wenig irreführend, „Aufbereitung“ wäre vielleicht passender: Es geht um die direkte Information des Letztverbrauchers dazu, was in seinem Stromnetz so vor sich geht, wie viel er gerade verbraucht/erzeugt/gespeichert hat. Diese Informationen lassen sich nicht nur grafisch aufbereiten, sondern beispielsweise auch für Nudging (s. o.) nutzen – oder sogar, um bestimmte Dinge automatisch anzustoßen.
TAF 14: Hochfrequente Messwertbereitstellung für Mehrwertdienste
Viele Analysten erahnen hinter diesem neuen TAF ein großes Potenzial für Innovation: Die hochfrequente Erfassung geht weit über das normale Raster hinaus – hier geht es um Erfassungsintervalle im Sekundenbereich oder sogar darunter. Es wird also ganz genau und praktisch in Echtzeit abgebildet, was im jeweils gemessenen Stromnetz geschieht. Erste Anwendungsfälle können zum Beispiel Geräte identifizieren und deren Stromverbrauch erfassen. So lassen sich nicht nur Stromfresser bestimmen, sondern beispielsweise auch, ob bestimmte Geräte auch laufen – wie etwa Kühleinheiten im Lebensmittelhandel oder in Arztpraxen. Im größeren, netzübergreifenden Umfeld können die so erfassten Daten etwa für das Management virtueller Kraftwerke genutzt werden. Hier schlummert also einiges an Potenzial. Wir dürfen gespannt sein, welche Anwendungen uns dazu ins Haus stehen.
Fazit
Tarifanwendungsfälle beschreiben wie eingangs beschrieben konkrete Nutzwerte für alle Player in der Stromwirtschaft. Natürlich wird nicht jedes Smart Meter Gateway alle Fälle abbilden können oder auch müssen: Hier kommt es stark auf das Einsatzgebiet und den vom Stromanbieter bereitgestellten Tarif an. Wir sind sehr gespannt, welche Neuerungen die Pflicht zu dynamischen Stromtarifen ab 2025 auch im Umfeld der Mehrwertdienste bringen wird.
Und genau dazu ist jetzt eure Meinung gefragt: Welche konkreten Umsetzungen der TAFs wünscht ihr euch? Welche Ideen habt ihr für Tarife und Mehrwertdienste? Lasst uns an euren Gedanken teilhaben.