Lade in der Zeit, so hast du…?

Dynamische Tarife für den Fahrzeugladestrom

Plunge Pricing: Unter diesem Schlagwort werben einige britische Stromanbieter (allen voran Octopus Energy, der seine Tarife über öffentliche Ladestationen vertreibt) mit besonders agilen Ladestromtarifen für Elektromobilität. Das Prinzip dahinter ist so einfach wie bestechend: App-gesteuert lädt man sein Fahrzeug dann, wenn der Strom an der Börse besonders günstig ist. Im Idealfall ist der Preis sogar negativ - und dann, so das vollmundige Versprechen, wird man für den Strombezug bezahlt. Doch geht diese Rechnung auf? Und welche Herausforderungen sind damit verbunden?

Elektromobilität – der ideale Use Case für dynamische Stromtarife?

Ab 2025 sollen sie für alle Stromversorger Pflicht werden: dynamische Stromtarife, die im Idealfall Preis- und Lastschwankungen an die Endverbraucher weitergeben und so zu einem angepassten Energieverbrauch motivieren. Doch nicht immer können wir unseren Stromverbrauch perfekt steuern: Essen muss gekocht, Wäsche gewaschen, der Kühlschrank betrieben werden.

Bei der individuellen Elektromobilität sieht die Situation jedoch ganz anders aus: Wie ihre Pendants mit Verbrennungsmotor stehen die meisten EVs in Privatbesitz mehr, als dass sie fahren. Mit einer entsprechenden Ladestation (öffentlich oder privat) könnte man sich dies zunutze machen und das eigene Fahrzeug dann mit Strom betanken, wenn dieser besonders günstig ist. Wie bei vielen anderen Gütern trennt man so den Kauf vom Verbrauch und kann von günstigen Angeboten profitieren.

Im Idealfall muss sich der Endverbraucher nicht einschränken und leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Umwelt und zur Netzstabilität. Umgekehrt können Stromproduzenten überschüssig produzierten Strom an den Mann, die Frau oder das Fahrzeug bringen und müssen ihre Anlagen nicht kostenintensiv herunterfahren oder vom Netz nehmen. Dies hätte langfristig auch den Vorteil, dass der Strompreis an der Börse nicht mehr so stark schwankt.

Doch warum schwankt er eigentlich überhaupt, dieser Strompreis?

Nun könnte man böse sagen: Die erneuerbaren Energien sind an allem schuld. Die Sonne scheint, wenn sie scheint, der Wind weht, wann er will, und das Wasser in den Flüssen plätschert mal mehr, mal weniger. Die so erzeugte Strommenge lässt sich zeitlich nur begrenzt an den Bedarf anpassen. Was nun folgt, ist Grundkurs Betriebswirtschaft: Wenn ein Produkt knapp ist, wird es teurer. Und bei einem Überangebot sinkt der Preis. Beim Strom kommt hinzu, dass es sich um ein „Just-in-time“-Produkt handelt (zumindest noch): Es muss immer genau so viel Strom produziert und ins Netz eingespeist werden, wie gebraucht wird. Und so wie ein Supermarkt abgelaufene Lebensmittel auf eigene Kosten entsorgen muss, muss ein Stromproduzent seinen Überschuss notfalls verkaufen oder sogar Geld drauflegen: Der Strompreis wird negativ. Und das ist nicht nur hypothetisch: Dieser Fall trat erstmals im Jahr 2008 ein.Im Jahr 2023 gab es sogar mehr als 300 Stunden mit negativem Strompreis.

Man muss keine schwäbische Hausfrau sein, um den Reiz darin zu erkennen: Wie wäre es, wenn ich mein Auto so auflade, dass ich im Idealfall vom Stromversorger dafür bezahlt werde?

Dynamische Tarife mit Plunge Pricing?

Nun muss ein Tarif, der dies bietet, einerseits möglichst konsistent den Börsenstrompreis (oder zumindest die Verfügbarkeit mit entsprechenden Überschüssen) abbilden und andererseits den Abruf genau kontrollieren und steuern können. Der EV-Ladestrom bietet sich dafür, wie oben dargestellt, an, da hier Abruf und Verfügbarkeit - zumindest besser als in anderen Use Cases - aufeinander abgestimmt werden können und die Ladestationen bereits heute von sich aus den Stromverbrauch „smart“ und zeitgenau erfassen.

Wir haben an anderer Stelle bereits auf die Vielfalt dynamische Stromtarife vorgestellt. Der britische Versorger Octopus Energy ist mit seinem Tarif besonders konsequent und verspricht 100% Green Energy (was bei uns Ökostrom entspräche) und Plunge Pricing. Der Anbieter weist auf seiner Website aber auch darauf hin, dass der durchschnittliche Strompreis für britische Haushalte bei 35p pro Kilowattstunde liegt, aber auch auf über 100p steigen kann.

Und hier liegt genau die Krux: So ein Tarif ist nämlich nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen.

Risiken und Nebenwirkungen von „Plunge Pricing“-Tarifen

Wie soll man das vernünftig kalkulieren?

Sinkende Strompreise speziell für Erneuerbare Energien mögen zwar im Sinne des Gesetzgebers sein, die Stromerzeuger sehen das aber vermutlich anders, vor allem wenn sie noch Geld drauflegen müssen. Negative Strompreise oder gar häufige Preistiefs sind also eher Betriebsunfälle als Absicht. Als Endverbraucher kann man sich daher nicht unbedingt darauf verlassen. Und letztlich profitieren alle Seiten am meisten davon, wenn sich der Strompreis auf einem halbwegs stabilen Niveau einpendelt - besser kalkulierbar ist es allemal. Denn wie sonst ließe sich die Preisschwelle, ab der man laden will, dauerhaft festlegen?

Wenn das nun alle machen?

Umgekehrt: Wenn nun alle ihre Ladesäulen einschalten, wenn der Strompreis unter ein bestimmtes Niveau fällt, steigt automatisch die Nachfrage und damit der Preis. Und damit wäre das Prinzip wieder ad absurdum geführt, nämlich dann, wenn die Ladesäulen beim Überschreiten der Preisschwelle wieder abschalten, der Preis sinkt, die Ladesäulen wieder anspringen ... - ad infinitum und im Viertelstundentakt des deutschen Stromnetzes.

Ist der Strom denn überhaupt (in meiner Nähe) verfügbar?

Nun gibt der Börsenstrompreis zunächst nur ein Gesamtbild wieder. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Strom an meiner Ladesäule auch wirklich aus grünen Quellen stammt: So kann es sein, dass über den Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee zwar ein fröhliches Lüftchen weht, der dort erzeugte Strom aber gar nicht bei mir ankommt - weil zum Beispiel die nötigen Stromtrassen von Nord nach Süd fehlen.Außerdem ist Ökostrom umso umweltfreundlicher, je regionaler er erzeugt wird. Nur dann werden die Leitungsverluste (die wiederum aus konventionellen, also fossilen Quellen gedeckt werden müssen) auf ein Minimum reduziert.

Und ist solch ein Ansatz überhaupt nachhaltig zukunftsfähig?

Hier ist die Antwort eindeutig: Nein! Die Kosten für Batteriespeicher sinken und sinken. Im Jahr 2025, so prognostizieren Experten, werden die Speicherkosten pro kWh auf unter hundert Dollar fallen. Damit wird nicht nur die Elektromobilität unschlagbar günstig. Stationäre Batteriespeicher, heute schon fast selbstverständlicher Bestandteil neuer PV-Anlagen in Privathaushalten, werden dann zum Standard - und zwar im großen Stil. Schon heute werden Wind- und Solarparks mit entsprechenden Speichern geplant.Und auch die Stromproduzenten und Netzbetreiber haben mit der Planung von Großspeichern begonnen - oft an den Standorten ehemaliger Kohlekraftwerke, denn dort ist die Netzanbindung bereits vorhanden. Damit ist die größte Herausforderung bei der Nutzung erneuerbarer Energien - das Auseinanderfallen von Erzeugung und Nachfrage - praktisch überwunden: Solarstrom gibt es jetzt auch nachts, wie der Spiegel kürzlich titelte. Und damit ist auch das Ende negativer Strompreise (und damit für Ansätze wie Plunge Pricing) eingeläutet - auch wenn wir im Gegenzug hoffen dürfen, dass teure Energieträger wie Gas obsolet werden und der Strompreis auch für uns Endverbraucher deutlich sinkt - und zwar nachhaltig und dauerhaft.

Aber: Bis die notwendigen Speicher vollständig zur Verfügung stehen, werden sicher noch einige Jahre vergehen. Zumindest für die Zwischenzeit ist es daher sinnvoll, über Tarife nachzudenken, die nicht nur Preisschwankungen abbilden, sondern auch den Einsatz erneuerbarer Energien fördern:

EV-Tarife mit dem GrünStromIndex?

Regelmäßige Leserinnen und Leser dieses Blogs werden beim Stichwort „regionale Verfügbarkeit“ aufgehorcht haben, fällt dieses Wort doch mit schöner Regelmäßigkeit im Zusammenhang mit unseren Angeboten rund um den GrünStromIndex.

Wer jetzt aber auf den Stromdao-EV-Tarif hofft, den müssen wir leider enttäuschen. Den haben wir noch nicht im Portfolio und aktuell auch nicht geplant.

Was wir aber bereits tun: Wir unterstützen Strom- und Ladeinfrastrukturanbieter bei der Entwicklung passender Tarife auf Basis der regionalen Verfügbarkeit von Grünstrom und Ökostrom - dazu stellen wir unter anderem eine API zum GrünStromIndex zur Verfügung. Darüber hinaus ermöglichen wir die Anbindung an OpenEMS.

Unser Ziel ist es, sowohl die Emissionen als auch den Preis so niedrig wie möglich zu halten - damit sich diese Tarife lohnen: für den Versorger, für den Endverbraucher und für die Umwelt.

Und? Was denkt ihr?

Wir haben hier schon viel über dynamische Stromtarife und Anwendungsfälle gesprochen. Deshalb an dieser Stelle die Frage an euch: Plant ihr, auf einen solchen Tarif umzusteigen? Nutzt ihr bereits entsprechende Angebote? Und wenn nicht: Was müsste euch ein entsprechender Tarif bieten, damit ihr über einen Wechsel nachdenkt? Schreibt uns eure Meinung.

Jannik Wiedmann