Das Internet hebt die Finanzwelt aus den Angeln

Sie sind die Alchimisten der Jetztzeit: Die Entwickler der Kryptowährungen schaffen aus Rechenleistung Geld. Mit der „Blockchain“ werden die Transaktionen abgesichert. Bericht aus einer Parallelwelt.

Alle reden über Blockchain, aber was soll das sein? Die einen halten es für einen Modebegriff, von dem schon bald niemand mehr sprechen wird. Die anderen sind der Meinung, dass Blockchain nicht nur eine Technologie ist, sondern das Internet der Zukunft. Wenn man den Vertretern der Blockchain-Lobby und vielen Experten glaubt, dann stehen wir vor einer dramatischen Wende.

Bis jetzt sei das Internet ziemlich toll für Leute gewesen, die kommunizieren oder schnell mal etwas nachschlagen wollten, „aber jetzt wird es wirklich ernst“, sagt zum Beispiel Periane Boring, Gründerin der Chamber of Digital Commerce, die die Blockchain-Industrie repräsentiert.

Aber was meint sie mit ernst? Blockchain-Technologie soll dafür sorgen, dass wir in Zukunft all die Dinge sicher im Netz tun können, die heute offline und oft noch auf Papier erledigt werden müssen. Wir werden zum Beispiel rechtsgültige Verträge ohne Notare schließen können und so Werte übertragen, Häuser verkaufen, Geldgeschäfte tätigen. Eine Bank soll dafür auch nicht mehr nötig sein. Urheberrechte werden auch sehr viel einfacher durchzusetzen sein.

Dezentralisierung sorgt für Sicherheit

Alle Vorgänge werden auf allen beteiligten Rechnern des Netzwerks gespeichert. Diese Dezentralisierung soll dann absolute Sicherheit gewährleisten. Auf dem Grundgerüst der Blockchain-Technologie etabliert sich gerade in rasanter Geschwindigkeit Ethereum. Das ist eine Plattform, auf der schon bald Verträge geschlossen und Eigentumsübertragungen stattfinden sollen.

Bereits jetzt kann man per Ethereum zum Beispiel in Start-ups investieren. Ethereum verwendet die Kryptowährung Ether als Zahlungsmittel für Rechenleistung, die Teilnehmer zur Verfügung stellen. Der Kurs dieser Währung ist in den vergangenen Wochen geradezu explodiert.

Ein junger Mann aus Russland hat Ethereum entwickelt. Sein Anspruch war, die Schwächen von Blockchain auszubügeln und mit seinem Team ein Produkt zu bauen, das für die Masse der Nutzer praktisch anwendbar ist. Die Ethereum-Plattform soll außerdem um ein Vielfaches schneller sein als bisherige Blockchain-Anwendungen. Entwickler Vitalik Buterin ist erst 23 Jahre alt.

Doch mit seiner Technologie erschüttert er bereits jetzt das Finanzsystem. Die übergeordnete Idee seiner Blockchain ist, einen weltweiten Austausch von Werten zu ermöglichen – ohne einen Oberaufseher, komplizierte Verifizierungsverfahren oder Gebühren. Genau von diesen Vorgängen leben Banken.

Todesstoß für die Banken?

„Capital“ zitiert Buterin mit den Worten: „An dem Tag, als ich mir Bitcoin genauer ansah, verstand ich, dass Zahlungen ohne Mittelsmänner möglich sind.“ Das klingt in den Ohren der Banken wie der Todesstoß für ihr Geschäft. Die Erkenntnis Buterins, der in der Schweiz an seiner Idee arbeitet, hat die Finanzinstitute ziemlich nervös gemacht.

Inzwischen beschäftigt sich zum Beispiel auch die Deutsche Bank intensiv mit dem Thema. Das Geldinstitut ist sich der Dramatik der Lage bewusst. Managing Director Patrick Pohl: „Wenn wir nicht darauf reagieren und uns mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen, kann das sehr gefährlich für unser Geschäft werden.“

Es gibt jetzt schon eine unüberschaubare Menge an Start-ups, die versuchen, von der Technik der Zukunft zu profitieren:

Satoshipay hat ein Plug-in für Nanotransaktionen bei Medieninhalten entwickelt. Diese sollen den Kunden ermöglichen, Artikel, Bilder oder Lieder einfach zu monetarisieren und für niedrige Centbeträge anzubieten.

Vaultoro ist eine Tausch-Plattform für Gold und Bitcoins. Das Gold wird in der Schweiz gelagert und soll jederzeit lieferbar sein. Die Transaktionen sind öffentlich über die Blockchain einsehbar.

Bitwala bietet Geldüberweisungen per Blockchain. Kunden sollen die Möglichkeit haben, innerhalb von Stunden Geld in andere Länder zu überweisen. Dabei wird die Ausgangswährung zuerst in Bitcoins getauscht, anschließend in die Zielwährung umgetauscht und auf das Konto überwiesen.

Monax betreibt die Plattform eris, die Entwicklern dabei helfen soll, Blockchain-Technologien für Unternehmen aufzubauen. Außerdem werden hier Software-Development-Kits verkauft.

Coyno entwickelt Software-Lösungen für die Interaktion mit der Blockchain. Dabei soll besonders Unternehmen der Zu- und Umgang mit der Technologie erleichtert werden.

IPDB oder Interplanetary Database ist eine Datenbank, die kreative Inhalte schützen soll. Sie soll sicherstellen, dass Dokumente nicht einfach kopiert und weiterverbreitet werden können und die Rechte beim Urheber bleiben.

Blockchain-Technologie für die Energieversorgung

Aber es sind nicht nur die kleinen Start-ups, die über zukünftige Einsatzmöglichkeiten nachdenken. Blockchain-Technologie ist in allen Industrien denkbar. Zum Beispiel in der Energieversorgung. Tobias Federico von Energy Brainpool bringt die Lage auf den Punkt: „Wir haben eine Lösung. Blockchain. Aber wir müssen jetzt schauen, wo das Problem dafür ist.“ Die Energieversorgung der Zukunft soll jedenfalls insgesamt sehr viel kleinteiliger ablaufen.

Kirsten Hasberg vom BlockchainHub Berlin drückt es so aus: „Die Kunden bestimmen mit. Sie können zum Beispiel Anteile an der Produktion kaufen und mit ihrem Verbrauch verrechnen. Der Markt wird sehr viel dezentraler.“

Blockchain-Technologie gilt als ultimatives Tool, um dezentrale Anwendungen automatisch zu organisieren, zu autorisieren und nachzuhalten. Stromdao.de bietet bereits jetzt einen „Stromtarif aus der Blockchain“ an. Alle Transaktionen, die der Kunde vornimmt, werden direkt in die Blockchain geschrieben. Die Firma sucht jetzt Stromkunden, die Interesse daran haben, Vermarktung und Produktgestaltung mitzubestimmen.

Ist die Blockchain nur eine Mode?

Die Digitalisierung, auch in der Gestalt von Blockchain und Ethereum, sorgt immer schneller dafür, dass durch Technologie Macht und Kontrolle von zentralen Autoritäten auf die Anwender und Netzwerke übertragen werden, die sich in Zukunft selbst kontrollieren. Das macht den Firmen, die derzeit wie die Spinnen im Netz sitzen, natürlich Sorgen.

Google-Evangelist Vint Cerf ist vielleicht deshalb ein Kritiker der Blockchain-Technologie. Mit Verweis auf die vielen technischen Probleme sagte er: „Ich würde auf keinen Fall in Blockchain investieren.“ Buterin ist dagegen ein Verfechter dieser freiheitlichen Marschroute, wenn es um die Entwicklung des Internets geht. Ethereum arbeitet an einem hochdisruptiven Ansatz, dessen Tragweite heute noch gar nicht überblickt werden kann. Es sei denn, Blockchain ist einfach nur ein weiterer Modebegriff, der schon bald wieder vergessen ist.