Jenseits des Hypes – die Blockchain

Dokumentation, Eigentumsnachweis und Emissionshandel in der E-Mobilität – Teil II

Blockchain: Bei der Nennung dieses Begriffs zückt so mancher schon seine Buzzword Bingo Card. Doch hinter diesem oft gehypten Begriff verbirgt sich ein technologischer Ansatz, der Dokumentation und Eigentumsbeleg von CO2-Emissionen und Einsparungen radikal vereinfachen und gleichzeitig fälschungs- und manipulationssicher machen kann – der wichtigste Schritt hin zu einem effizienten, für alle offenen Handel mit Emissionsrechten. Werfen wir einmal einen Blick hinter den Hype.

Hype? Nützlich? Nützlicher Hype?

Wenn man heutzutage schnell und viel Risikokapital einsammeln wolle, so sagt eine der Personen in Tom Hillenbrands überaus amüsantem Roman Montecrypto sinngemäß, müsse man nur das Wort „Crypto“ im Firmennamen unterbringen. Ähnliches ließe sich auch für das Wort „Blockchain“ sagen, das noch immer seinen Weg in die Business News findet, wenn auch in letzter Zeit eher in Zusammenhang mit den – sagen wir mal: eigenwilligen – Geschäftspraktiken in der Crypto-Szene.

Doch wenn man mal den Hype beiseite räumt und die eigenen Vorurteile gegen die „Crypto Bros“ außer Acht lässt, stellt sich die Blockchain als ausgesprochen leistungsstarker technologischer Ansatz dar, das Eigentum an immateriellen Gütern verlässlich, transparent sowie fälschungs- und manipulationssicher zu dokumentieren; und zu diesen Gütern gehören auch CO2-Emissionen bzw. Einsparungen.

CO2-Einsparungen sind das ultimative immaterielle Gut

Bilder, Spiele, E-Books, Videos, Software – das sind die klassischen immateriellen Güter, wie Endverbraucher sie kennen. Etwas weiter gefasst: Ein immaterielles Gut ist ein Recht, das man erwirbt – die Nutzung eines Bildes oder einer Software, das Spielen eines Computerspiels, das Anschauen des neuesten Streaming-Blockbusters gehören ebenso dazu wie viele andere Rechte – nicht nur aus dem Bereich „Geistiges Eigentum“ (wie etwas Urheberrechte, Patente etc.), sondern beispielsweise auch Schürf- bzw. Ölbohrlizenzen oder, in unserem Fall, das Recht auf die Emission einer bestimmten Menge CO2.

Der Eigentumsdokumentation in wie auch immer gearteten Kauf-, Miet- oder Leasingverträgen steht meist ein tatsächlich (wenn auch nur virtuell oder ideell) vorhandener Gegenstand gegenüber: Wir lesen das E-Book, wir schauen den Blockbuster, wir bohren nach Öl, wir emittieren CO2.

Nun steht aber der CO2-Emission, wie im letzten Teil dieser Artikelserie gesehen, die CO2-Einsparung gegenüber. Diese CO2-Einsparungen, etwa in der Elektromobilität, beschreiben ja etwas nicht Existentes: Wir haben KEIN CO2 erzeugt, obwohl es unter anderen Umständen entstanden wäre. Einzig in ihrer Dokumentation werden diese Einsparungen zum immateriellen und damit handelbaren Gut, das sich dann wieder in das Recht zur CO2-Emission eintauschen ließe. Man könnte – vereinfacht – auch sagen: Womit wir handeln, IST die Dokumentation.

Umso wichtiger ist es, dass diese Dokumentation nicht nur genau sowie fehlerfrei und manipulationssicher ist, sondern auch eineindeutig: Anders als beispielsweise ein E-Book, von dem sich beliebig viele Kopien ziehen und verkaufen lassen, wurde eine spezifische Menge CO2 genau einmal, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit eingespart, ist also einmalig – und lässt sich entsprechend auch nur einmal in die entsprechenden CO2-Emissionen an anderer Stelle eintauschen.

Doch genau diese Einmaligkeit ist in der virtuellen Welt der Dokumentation eine echte Herausforderung – und das nicht erst seit heute.

Die Blockchain als Antwort auf ein altbekanntes Problem

Habt ihr schon mal vor einem Geldautomaten gestanden, der wegen Wartung oder Netzfehlern jede Auszahlung verweigerte? Und das ist das zwar besonders sichtbare, aber vergleichsweise harmlose Symbol für das zugrunde liegende Problem: Datengetriebene Unternehmen wie Banken verarbeiten ihre Daten oft zentral: Die Rechenzentren mögen mehrfach gespiegelt und redundant sein, doch letztlich stehen sie für ein einziges Datenverarbeitungssystem. Und so ein System ist allein durch den Faktor der Zentralität besonders angreifbar, auch wenn es abgesichert ist wie Fort Knox. Ist der Angreifer – oder, allgemein, die Störung – erst mal drin, ist der Schaden schnell groß.

Wie wäre es also – so der Grundgedanke der unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto versammelten klugen Köpfe hinter den Grundlagen zu Bitcoin – wenn wir das Thema gleich ganz anders angehen, die Datenspeicherung dezentral gestalten und so den Single Point of Failure schon im Design vermeiden? Ihre Antwort darauf ist die Blockchain.

Die Überlegung dahinter ist so simpel wie bestechend: Jedes Asset lässt sich auch als Sammlung von Informationen ausdrücken. Diese Informationen lassen sich leicht in Daten konvertieren, die wir wiederum in einem Datenblock speichern können, der genau einem Asset zugeordnet ist.

Im Falle einer CO2-Einsparung sähe so ein Asset bzw. Datenblock zum Beispiel so aus:

„Am 8. August 2022 um 12 Uhr 57 hat Paul sein Elektrofahrzeug mit der ID TOLLERFLITZER an der Ladestelle Kleinwülferode 2a mit XX kWh GrünStrom geladen. Dabei wurden 0 kg CO2 emittiert und YY kg CO2 eingespart.“

In einer regulären, zentralen Datenbank würde dieser Datenblock nun als Einzelobjekt abgelegt – wie eine Karteikarte einer Kartei. Wird dieser Datenblock nun rechtmäßig oder unrechtmäßig verändert, kopiert (die wohl häufigste Todsünde in regulären Datenbanken) oder entfernt, hat das keinen Einfluss auf seine Nachbardatenblöcke. Zudem lässt sich die Änderung ohne ein entsprechendes externes Journal nicht mehr nachvollziehen. Das macht den Datenblock zusätzlich angreifbar.

Deshalb geht die Blockchain anders vor: Jeder Datenblock wird mit einer eindeutigen ID versehen und untrennbar mit seinem Vorgänger verknüpft. Ist er einmal geschrieben und verknüpft, lässt er sich nicht mehr überschreiben. Wollen wir die darin enthaltenen Informationen nun ändern, müssen wir eine Transaktion durchführen, die als weiteres Kettenglied an die Blockchain angehängt wird. So wollen wir zum Beispiel zeigen, das obiges Asset Paul gehört. Dazu hängen wir eine entsprechende Transaktion an.

„Am 8. August 2022 um 12 Uhr 57 hat Paul sein Elektrofahrzeug mit der ID TOLLERFLITZER an der Ladestelle Kleinwülferode 2a mit XX kWh GrünStrom geladen. Dabei wurden 0 kg CO2 emittiert und YY kg CO2 eingespart.“ -> „Dieses Asset gehört seit dem 8. August 2022 um 12 Uhr 57 Paul.“

Und wenn Paul seine Einsparungen am Abend seinem Kumpel Stefan im Tausch gegen ein Bier anbietet UND Stefan diesem Handel zustimmt, wird eine weitere Transaktion angehängt.

 „Am 8. August 2022 um 12 Uhr 57 hat Paul sein Elektrofahrzeug mit der ID TOLLERFLITZER an der Ladestelle Kleinwülferode 2a mit XX kWh GrünStrom geladen. Dabei wurden 0 kg CO2 emittiert und YY kg CO2 eingespart.“ -> „Dieses Asset gehört seit dem 8. August 2022 um 12 Uhr 57 Paul.“ -> „Dieses Asset gehört seit dem 8. August 2022 um 20 Uhr 23 Stefan.“

Und so weiter und so fort, bis irgendein Eigentümer die Einsparung dann einlöst, womit diese Blockchain endet.

 Wichtig ist: Die Einträge dieser Kette lassen sich nicht mehr einzeln ändern. Sie werden mittels kryptografischer Methoden „aneinandergeschweißt“.

Nun gut, es handelt sich um digitale Daten, und die sind änderbar. Wie stellt man also sicher, dass Manipulationen entdeckt werden? Wir haben ja keine zentrale Datensammlung mehr, mit der wir das Asset und die Transaktionen abgleichen könnten.

Stattdessen wird die so entstehende Blockchain dezentral und für alle Stakeholder einsehbar auf mehreren Computersystemen gespeichert, die sich Nodes nennen. Nun genügt ein einfacher Vergleich der verschiedenen Kopien, um festzustellen, ob bei einem Datenblock Probleme vorliegen.

Die Herausforderung besteht nun darin, sicherzustellen, dass alle Kopien der Blockchain die exakt gleichen Informationen enthalten. Es muss Konsens herrschen über das, was eingetragen wird. Und dieser Konsens muss über einen „Proof“ belegt werden. Dazu gibt es verschiedene Methoden, deren Beschreibung an dieser Stelle den Artikel sprengen würden. Doch wenn ihr schon mal die Begriffe „Bitcoin Mining“ oder „Crypto Mining“ gehört habt: Beim „Mining“ stellen Menschen oder gleich Unternehmen Rechenleistung für diese Konsensherstellung zur Verfügung und werden dafür wiederum mit Crypto-Währungen entlohnt. Das sollte euch zeigen, wie mathematisch und rechnerisch aufwendig diese Konsensherstellung ist.

Aber kommen wir zurück zu unseren CO2-Einsparungen: Eine Papierquittung kann verloren gehen, ein zentraler Datenbankeintrag kann absichtlich oder unabsichtlich geändert werden. Doch fassen wir die Dokumentation im Datenblock einer Blockchain zusammen, ist sie (vorausgesetzt, sie enthält alle notwendigen Informationen) sicher, nicht manipulierbar, eineindeutig und transparent. Zudem – und das ist eine der Stärken der Blockchain – steht zu jedem Zeitpunkt fest, wem ein Asset gehört. Also genau das, was wir für einen effektiven Handel brauchen.

Klingt kompliziert? Ist es auch. Allerdings nicht für uns User. Bei den digitalen Währungen haben wir einfach unsere Wallets und überlassen den Rest der Technik. Entsprechend könnten wir für unsere CO2-Emissionen und Einsparungen elektronische „Bottles“ schaffen.

Wenn die Blockchain allein nicht ausreicht

Wunderbar, dann ist das Problem mit dem Handel auch gelöst, so werden jetzt einige rufen. Lernen wir doch von den Crypto-Bros. Machen wir CO2-Einsparungen, die wir beim E-Tanken gewinnen, doch zur virtuellen Währung namens CarbonCoin oder CryptoCarbon und handeln damit. Wie solche Börsen funktionieren (bzw. funktionieren sollten), wissen wir ja. Dann haben wir eben alle neben unseren Coin-Wallets auch unsere virtuellen CO2-Bottles.

Nicht so vorschnell! Denn so einfach ist es nicht. Warum?

Crypto-Währungen sind austauschbar. Peters Bitcoin ist stets und überall auf der Welt genauso viel wert wie Pauls. Zudem sind Crypto-Währungen praktisch beliebig teilbar. So kann ich im hippen Digital Native Café meinen überteuerten Latte macchiato locker mit 0,00021 Bitcoin bezahlen.

Beides gilt für CO2-Emissionen und Einsparungen nicht. Für den Wert einer Einsparung spielen eine ganze Menge anderer Faktoren eine Rolle – vor allem aber das Wann und Wo der Einsparung, wie in der letzten Folge dieser Artikelserie gezeigt.

Würden wir die Teilbarkeit virtueller Währungen auch auf die CO2-Einsparungen übertragen, müssten wir zumindest für jede Region eine eigene CO2-Währung aufbauen und uns zudem ständig mit fließenden Wechselkursen herumschlagen, die man zudem auch erst einmal bestimmen müsste. Der Aufwand wäre also immens. Und wenn dann noch der Zeitpunkt eine Rolle für den Wert spielen sollte – zum Beispiel könnten Emissionen an Smogtagen besonders teuer sein und die Einsparungen zur gleichen Zeit entsprechend wertvoll –, stiege die Zahl der Unterwährungen rasch ins Unendliche. Und damit der Verwaltungs- und Rechenaufwand.

Sinnvoller ist es stattdessen, den umgedrehten Weg zu gehen: Jede CO2-Einsparung (genauer: die jeweilige Dokumentation) bleibt eine mit allen wichtigen Informationen versehene unteilbare Einheit. Die ist dann nicht mehr austauschbar, sondern einmalig – so einmalig wie ein Kunstwerk!

Und das ist ein Fall für NFTs! Doch davon in der nächsten Folge.

PS: Wenn ihr mehr zum Thema „Blockchain“ erfahren wollt: IBM hat auf dieser Überblicksseite viel Wissenswertes zusammengestellt. Dort kann man zudem gegen Registrierung eine Sonderausgabe des Buches „Blockchain for Dummies“ als PDF herunterladen.

Rebekka Mutschler