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Dynamik = Börsenstrompreis + X?

Was das Energiewirtschaftsgesetz wirklich über dynamische Stromtarife sagt

Ab 2025 werden sie – soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar – für alle Stromversorger zur Pflicht: dynamische Stromtarife. Doch noch herrscht vielfach Unklarheit darüber, was das eigentlich bedeutet. So begegnen wir in unseren Kundengesprächen häufig dem Vorurteil, dass es bei dynamischen Stromtarifen vor allem darum gehe, die Dynamik der Strombörse an den Kunden weiterzugeben. Auf die Formel gebracht: Strompreis = Börsenstrompreis + X, wobei X die vom Versorger festzulegende Marge ist. Der Gesetzgeber sieht das ganz anders: Für ihn sind dynamische Stromtarife ein Instrument der Energiewende. Deshalb ist es an der Zeit, einmal ins Gesetz zu schauen - genauer gesagt in den § 41a des Energiewirtschaftsgesetzes - und zu diskutieren, was dort eigentlich steht.

 

Dynamische Stromtarife im Energiewirtschaftsgesetz

Die Verpflichtung zu dynamischen Stromtarifen ist im oft zitierten § 41a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) festgelegt. Dieser Paragraf erweitert die Bestimmungen des vorhergehenden Paragrafen 41, der die Bedingungen für „Energielieferverträge mit Letztverbrauchern“ festlegt.

§ 41a hat folgenden Wortlaut:

§ 41a Lastvariable, tageszeitabhängige oder dynamische und sonstige Stromtarife

(1) Stromlieferanten haben, soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar, für Letztverbraucher von Elektrizität einen Tarif anzubieten, der einen Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt. Tarife im Sinne von Satz 1 sind insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife. Stromlieferanten haben daneben für Haushaltskunden mindestens einen Tarif anzubieten, für den die Datenaufzeichnung und -übermittlung auf die Mitteilung der innerhalb eines bestimmten Zeitraums verbrauchten Gesamtstrommenge begrenzt bleibt.

(2) Stromlieferanten, die zum 31. Dezember eines Jahres mehr als 100 000 Letztverbraucher beliefern, sind im Folgejahr verpflichtet, den Abschluss eines Stromliefervertrages mit dynamischen Tarifen für Letztverbraucher anzubieten, die über ein intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes verfügen. Die Stromlieferanten haben die Letztverbraucher über die Kosten sowie die Vor- und Nachteile des Vertrags nach Satz 1 umfassend zu unterrichten sowie Informationen über den Einbau eines intelligenten Messsystems im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes anzubieten. Die Verpflichtung nach Satz 1 gilt ab dem 1. Januar 2025 für alle Stromlieferanten.

(3) Stromlieferanten, die Letztverbrauchern nach Absatz 2 den Abschluss eines Stromliefervertrages mit dynamischen Tarifen anzubieten haben, sind ab dem 1. Januar 2025 verpflichtet, diesen Stromliefervertrag nach Wahl des Letztverbrauchers auch ohne Einbeziehung der Netznutzung und des Messstellenbetriebs unter der Bedingung anzubieten, dass der Letztverbraucher die Netznutzung nach § 20 oder den Messstellenbetrieb nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 des Messstellenbetriebsgesetzes selbst vereinbart hat.

Beim ersten Lesen fällt vielleicht auf, dass Worte wie „Strombörse“ gar nicht vorkommen. Aber gehen wir die drei Absätze der Reihe nach durch:

 

§ 41a EnWG, Absatz 1:

Stromlieferanten haben, soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar, für Letztverbraucher von Elektrizität einen Tarif anzubieten, der einen Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt.

Dieser Satz zeigt die Intention für die Schaffung dynamischer Stromtarife: Der Letztverbraucher soll per Tarif motiviert werden, Energie zu sparen bzw. seinen Verbrauch zu steuern. Damit ist implizit festgelegt, dass diese Tarife transparent und so ausgestaltet sein müssen, dass sie tatsächlich Anreize setzen.

Hier bietet sich natürlich die Kopplung an den Börsenstrompreis an, da dieser transparent ist und ein klares Preissignal setzt. Zudem ist Strom aus erneuerbaren Energien heute die günstigste Energie, die erzeugt werden kann. Die Energiewende würde so natürlich auch gefördert.

Aber: Seriöse Stromversorger kaufen den Strom nicht erst, wenn er an der Börse gehandelt wird, sondern planen im Voraus - allein schon, um eine relative Preisstabilität zu gewährleisten. Zudem hängt der Börsenstrompreis von vielen Parametern ab: So sinkt er zum Beispiel an den Weihnachtsfeiertagen (zumindest, wenn der Wind weht) auf ein Tief, weil an diesen Tagen die Industrie mehr oder weniger stillsteht und der Gesamtverbrauch daher sinkt. Und kaum ein Unternehmer wird seine Mitarbeiter an Heiligabend in die Produktion zwingen, nur weil der Strom so billig ist.

Nicht nur aus diesen Gründen ist eine Kopplung an den Börsenstrompreis im Gesetz nicht explizit vorgesehen und auch nicht gewollt, wie der nächste Satz zeigt:

Tarife im Sinne von Satz 1 sind insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife.

Hier werden zwei Beispiele genannt, die sich an der Netzlast bzw. an der Tageszeit orientieren; Letzteres ist im Prinzip eine Fortschreibung der Tag-/Nachttarife, die der Strommarkt schon lange kennt. Nur öffnet der Gesetzgeber hier die Tür zu einer granulareren Zeitabhängigkeit: Der Tag lässt sich in praktisch beliebig viele Zonen einteilen, zudem könnte es Jahreszeiten- und Wochenend-Tarifzonen geben.

Ein lastvariabler Tarif hingegen dient eher dem Schutz der Infrastruktur: Ein Strom funktioniert am besten bei möglichst gleichmäßiger Last. Per Tarif könnten so Schwankungen abgefedert oder gar verhindert werden.

Obwohl diese Beispiele die besondere Aufmerksamkeit des Gesetzgebers finden, ist der Gesetzestext hier bewusst offen für andere Ansätze, sofern diese den Intentionen des ersten Satzes entsprechen.

Kommen wir zu Satz 3:

Stromlieferanten haben daneben für Haushaltskunden mindestens einen Tarif anzubieten, für den die Datenaufzeichnung und -übermittlung auf die Mitteilung der innerhalb eines bestimmten Zeitraums verbrauchten Gesamtstrommenge begrenzt bleibt.

Hier soll gleich dem Datenhunger großer Unternehmen gegenüber den Privathaushalten Einhalt geboten werden, denn granulare Stromdaten verraten sehr viel über die Bewohner – und müssen daher als personenbezogene Informationen betrachtet werden. Solche Tarife kennen wir bereits: Einmal im Jahr kommt der Stromableser und zuvor wird in Abschlägen Vorkasse gemacht. Es wären nach dem Stand der heutigen Technik aber auch andere Zeiträume möglich. Daher sieht der Tarifanwendungsfall 1 aus der „Technischen Richtlinie BSI TR-03109-1: Anforderungen an die Interoperabilität der Kommunikationseinheit eines intelligenten Messsystems“ des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) – das die Vorschrift dazu, was sogenannte Smart Meter abbilden können müssen – vor, dass eine solche Erfassung mindestens monatlich möglich sein muss. Es wäre also etwa auch eine monatliche Abrechnung denkbar, wie beim Telefon oder beim Handy. Diese könnte etwa an den Median-Börsenstrompreis des Monats gekoppelt sein – muss aber nicht.

 

 

§ 41a EnWG, Absatz 2:

Stromlieferanten, die zum 31. Dezember eines Jahres mehr als 100 000 Letztverbraucher beliefern, sind im Folgejahr verpflichtet, den Abschluss eines Stromliefervertrages mit dynamischen Tarifen für Letztverbraucher anzubieten, die über ein intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes verfügen.

Neben der derzeit noch gültigen Festlegung, dass die Regelungen dieses Paragrafen zu dynamischen Stromtarifen nur für Stromlieferanten mit mehr als 100.000 Letztverbrauchern gelten, werden hier die Bedingungen festgelegt: Stromlieferanten müssen dynamische Stromtarife für Letztverbraucher anbieten: Wohlgemerkt steht auch hier nur „dynamisch“ und nicht „an den Börsenstrompreis gekoppelt“. Die Dynamik soll, wie im ersten Absatz deutlich wird, das Verbraucherverhalten lenken – und zwar im Idealfall nicht nur hin zu weniger Verbrauch, sondern auch, ganz im Sinne der Energiewende, hin zu erneuerbaren Energien (auch wenn Letztere im Text nicht erwähnt werden). Es geht also explizit nicht um die „billigste Energie“, auch wenn der Gesetzgeber hier wohl vor allem Preissignale im Auge hatte.

Um diese Tarife nutzen zu können, muss der Letztverbraucher allerdings über ein „intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes“ – vulgo: einen Smart Meter – verfügen.

Damit sich die Stromtarifanbieter hier nicht aus der Verantwortung stehlen können – „Na ja, der Letztverbraucher hat keinen Smart Meter, also bleibt alles beim Alten“ – fügt der Gesetzgeber im nächsten Satz hinzu:

Die Stromlieferanten haben die Letztverbraucher über die Kosten sowie die Vor- und Nachteile des Vertrags nach Satz 1 umfassend zu unterrichten sowie Informationen über den Einbau eines intelligenten Messsystems im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes anzubieten.

Der Stromlieferant hat also eine Informationspflicht in Hinblick auf dynamische Stromtarife, und zwar, ganz im Sinne des Verbraucherschutzes, über die Vor- und Nachteile. Hier wird also der Strategie von Billigstromanbietern, erst mal mit günstigen Strompreisen zu locken (zum Beispiel über den Hinweis auf die sinkenden Börsenstrompreise), dann aber bei den Gebühren bzw. in einer Krise (wie etwa dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine) voll hinzulangen und alle Risiken auf den arglosen Verbraucher abzuwälzen.

Man könnte diesen Satz zudem auch so interpretieren, dass Stromanbieter die Letztverbraucher proaktiv über ihr Tarifangebot informieren müssen – etwa per Anschreiben – und nicht darauf warten dürfen, dass die Kunden von sich aus nachfragen. Man muss seine Glaskugel nur wenig poliert haben, um zu vermuten, dass dies mit zunehmender Verbreitung dynamischer Stromtarife langfristig wohl entweder vom Gesetzgeber noch einmal explizit klargestellt oder höchstrichterlich entschieden wird.

Zum Angebot des Stromanbieters soll zudem der Einbau eines Smart Meters gehören. Das geht über das ohnehin schon laufende allgemeine Roll-out digitaler Stromzähler hinaus; denn ein digitaler Stromzähler ist noch nicht notwendig intelligent. Das ist aber im Grunde nichts Neues. Auch heute schon sind Messstellenbetreiber und Stromanbieter unterschiedliche Entitäten, auch wenn dies – dank der Abrechnung der Ablesekosten über die Stromrechnung – nicht immer unbedingt transparent ist. Es steht also zu erwarten, dass Stromanbieter von sich aus Komplettangebot (inklusive der Messkosten mit entsprechendem Aufschlag) anbieten und diese als „Rundum-Smart-Und-Sorglos-Pakete“ vermarkten werden.

Die Verpflichtung nach Satz 1 gilt ab dem 1. Januar 2025 für alle Stromlieferanten.

Und dieser Satz erweitert die Pflicht für das Angebot dynamischer Tarife auf alle Stromlieferanten. Die Einschränkung „soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar“ gilt natürlich auch weiterhin. Man darf jedoch gespannt sein, wie Stromanbieter diese Begrifflichkeiten auslegen werden und welche Letztverbraucher letztlich ausgeschlossen bleiben. Erneut liegt die Vermutung nahe, dass dies noch per Gesetz oder Urteil zu klären sein wird.

 

§ 41a EnWG, Absatz 3:

Stromlieferanten, die Letztverbrauchern nach Absatz 2 den Abschluss eines Stromliefervertrages mit dynamischen Tarifen anzubieten haben, sind ab dem 1. Januar 2025 verpflichtet, diesen Stromliefervertrag nach Wahl des Letztverbrauchers auch ohne Einbeziehung der Netznutzung und des Messstellenbetriebs unter der Bedingung anzubieten, dass der Letztverbraucher die Netznutzung nach § 20 oder den Messstellenbetrieb nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 des Messstellenbetriebsgesetzes selbst vereinbart hat.

Dieser schrecklich bürokratische klingende Absatz ist nicht ganz so unbedeutend, wie er scheinen mag: Er schafft mehr Vertragsfreiheit für den Letztverbraucher, der nach diesem Absatz bei dynamischen Stromtarifen den Messstellenbetrieb (also den Einbau, den Betrieb und die Datenweitergabe eines Smart Meters) sowie die Netznutzung vom Stromliefervertrag abkoppeln und mit den entsprechenden Anbietern eigenständig vereinbaren kann. Die finanzielle Ersparnis dürfte zwar gering sein: Der Stromlieferant wird zwar auf die Kosten für Netznutzung und Messung eine Marge aufschlagen, kann aber aufgrund der Menge vermutlich günstiger einkaufen. Für den Letztverbraucher dürfte das ein Nullsummenspiel sein. Und vermutlich sollen die Stromanbieter über diese mögliche Entkopplung der Verträge an die Kandare genommen werden, damit sie sich die notwendigen Dienstleistungen von Messung und Netznutzung nicht allzu fürstlich entlohnen lassen.

Allerdings ergibt sich über diese Entkopplung der Verträge ein Vorteil für beide Seiten: Der Letztverbraucher kann seinen Stromlieferanten schnell wechseln, ohne seine Infrastruktur umstellen zu müssen. Davon profitieren auch die Stromlieferanten, da sie sich mühsame Kommunikation mit Netz- und Messstellenbetreibern ersparen.

 

Fazit

Der Gesetzgeber will eben gerade keine starre Definition von dynamischen Stromtarifen über die Formel „Letztverbraucher-Strompreis = Börsenstrompreis + X“. Er lässt die Umsetzung bewusst offen, macht jedoch eine klare Zielvorgabe: „Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs“

Das ist (man möchte sagen: „unerwartet“) innovationsfreundlich und öffnet die Tür zu einer Vielzahl dynamischer Stromtarife. Welche denkbar und möglich wären, haben wir bereits an anderer Stelle vorgestellt. Ebenso, welche Herausforderungen für Stromanbieter damit verbunden sind.

Außerdem bestraft dieser offene Ansatz seriös wirtschaftende Stromanbieter nicht, die den Strom nicht erst dann einkaufen, wenn er verbraucht wird, sondern langfristigere Lieferverträge abschließen, um Versorgung und relative Preisstabilität zu gewährleisten. Was mit Unternehmen passiert, die nicht so wirtschaften, haben wir im in der Vergangenheit drastisch gesehen, als Billig-Stromanbieter von jetzt auf gleich die Segel strichen – womit die betroffenen Haushalte plötzlich in die deutlich teureren Grundversorgungstarife ihrer regionalen Anbieter rutschten.

 

Apropos 

Wir bei STROMDAO bieten mit dem STROMDAO Energy Application Framework eine Lösung für Stadtwerke und Energieversorger, dynamische Tarife unabhängig vom Börsenstrompreis in bestehende IT-Infrastruktur zu implementieren und Kund*innen anzubieten. Gerne erstellen wir ein Angebot.

 

DISCLAIMER: Dieser Artikel wurde von einem Nicht-Juristen nach bestem Wissen und Gewissen verfasst, stellt jedoch keine rechtsgültige Quelle dar und ersetzt auch keine Rechtsberatung. Zu diesem Zweck raten wir dringend zur Konsultation eines spezialisierten Anwalts.